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DIE DUNKE – DORFTEICH

„Ein vom Menschen angelegtes Stillgewässer verlandet, wenn seine Nutzung und Pflege aufgegeben werden.“

Durch unterschiedliche Funktionen und Nutzungen hat sich das Feuchtbiotop im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Bei Aufgabe der Nutzung gewinnen die Prozesse der Verlandung und der Sukzession die Oberhand. Wer heute die Dunke besucht, findet ein zugewachsenes Areal vor. Buschwerk und junge Bäume stehen dort, eine Freiwasserfläche ist nahezu nicht mehr vorhanden. Der Uferbereich wird augenscheinlich auch als Ablagefläche für Schnittgut und andere Gartenabfälle genutzt.

Die Entstehung

Die Geologie des Gebiets lässt darauf schließen, dass die Dunke als Gewässer beziehungsweise Vertiefung in der Landschaft nicht natürlich entstanden, sondern anthropogen ist (DORMANN 2021: mdl. Mitt.). Daneben existiert die Legende, dass die Vertiefung durch den verfehlten Wurf eines Beils durch den Riesen Borges entstanden sei. Nachdem ein zweiter Riese namens Hapke das im Boden stecken gebliebene Beil entfernt habe, sei ein Loch im Boden zurückgeblieben: die heutige Dunke (BOCK-LETTER 1916 o. S.).

Ganz so märchenhaft gestaltet sich die Entstehungsgeschichte nicht, denn vor mehr als tausend Jahren soll hier eine Lehm- oder Tonabbaustätte gewesen sein. Das dort abgebaute Material sollen die Menschen für den Hausbau genutzt haben. In einigen Quellen wird auch der Sandabbau als Möglichkeit genannt (DORMANN & WIEGAND 2009: Nr. 03-241-006-0010), jedoch räumt Dormann ein, dass eine Ton- oder Lehmabbaustätte wahrscheinlicher sei und auch eher erkläre, warum sich die Grube mit Wasser gefüllt habe (DORMANN 2021: mdl. Mitt.). 

Die Dunke als Rottekuhle für die Flachsverarbeitung

Bereits im 18. Jahrhundert wird die Dunke in der Kurhannoverschen Landesaufnahme als Teich verzeichnet und im 19. Jahrhundert wohl als „Rottekuhle“ für Flachs genutzt (DORMANN & WIEGAND 2009: Nr. 03-241-006-0010). Flachsanbau- und Verarbeitung waren mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden und beschäftigten die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen fast das gesamte Jahr über. Nach der Ernte wurden die Flachsstängel vor der Weiterverarbeitung für acht bis zehn Tage in eine Rottekuhle verbracht. Dieser Arbeitsschritt soll bewirken, dass Wasser in die Fasern der Pflanzen dringt, diese aufweichen und dadurch die weitere Verarbeitung ermöglicht wird. Als Rottekuhlen eignen sich nur flache Stillgewässer ohne Fischbesatz, da Fische durch die bei der Rottung freigesetzten Giftstoffe verenden würden und in Fließgewässern der wertvolle Flachs nicht an Ort und Stelle verbleiben würde (DORMANN 2021: mdl. Mitt.). Danach erfolgt die Trocknung auf dem Feld, später soll der Flachs sogar in die Backhäuser der Bauernhöfe gebracht worden sein: „Der muss wirklich knochentrocken sein“ (DORMANN 2021: mdl. Mitt.), bevor die weiteren Arbeitsschritte erledigt werden können. Der Flachs durchläuft viele Prozesse, solange bis Phloem und Xylem, also Bastteil und Holzteil der Pflanzenleitgewebe, voneinander getrennt sind. Die holzigen Teile der Pflanze sind für die Weiterverarbeitung zu Leinen unbrauchbar. Nur die feinsten Fasern des Flachses können zu Fäden versponnen werden, die später zu feinem Leinen verwebt werden. Das Spinnen war in der Regel eine Tätigkeit für die dunklen Wintermonate und auch für die Gemeinschaft und Geselligkeit wichtig (DORMANN 2021: mdl. Mitt.).

Die Bedeutung des Flachsanbaus

Der Anbau und die Verarbeitung von Flachs haben bis ins frühe 20. Jahrhundert eine hohe Bedeutung für die Dorfbevölkerung, denn Flachs ist das Ausgangsmaterial für Leinen, einen nahezu unverwüstlichen Stoff. Im Gegensatz zu Wolle wird Leinen nicht von Ungeziefer befallen und kann auch Jahrzehnte nach dem Weben noch zu Kleidung, Tisch- oder Bettwäsche verarbeitet werden: früher die Basis einer jeden Aussteuer für die Heirat (DORMANN 2021: mdl. Mitt.).

Das Ende des Flachsanbaus und die Nutzungsänderungen der Dunke

Die herausragende Bedeutung des Flachsanbaus neigt sich im 19. Jahrhundert mit dem wachsenden Import der Baumwolle dem Ende zu. Somit wurde auch die Nutzung der Everloher Dunke als Rottekuhle aufgegeben, sie fiel der Freizeitnutzung zu. Die Schwiegermutter eines Everlohers weiß zu berichten, dass ihr Vater in seiner Jugend in den 1920er zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen aus Everloh die Dunke als Schwimmteich genutzt hat. Bis zum Zweiten Weltkrieg diente in den Wintermonaten die zugefrorene Wasserfläche als Schlittschuh- beziehungsweise Schlitterbahn (JESCHONNEK, A. 2020: mdl. Mitt.). Zu dieser Zeit scheint die Dunke für das Dorf Everloh noch eine andere Bedeutung zu haben. Auf dem Foto des Konfirmanden Erich Spindler aus dem Jahr 1920 ist erkennbar, dass rund um die Dunke Pflegemaßnahmen stattgefunden haben müssen. Der junge Erich Spindler sitzt im Festtagsanzug auf dem Stumpf einer Weide, die einjährige Austriebe zeigt, der Uferbewuchs scheint also frisch geschnitten worden zu sein. Auch die jungen Obstbäume im Hintergrund des Fotos verweisen durch den Kalkanstrich auf regelmäßige Pflegemaßnahmen. Generell scheint ein Zugang zum Wasser wichtig gewesen zu sein, darauf lässt der Hangabtritt im Hintergrund schließen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Dunke von den Everloher: innen als repräsentativer Ort wahrgenommen wurde, da sie als Kulisse für das Fotografieren von besonderen Anlässen wie hier der Konfirmation ausgewählt wurde. Preisgünstige fotografische Schnappschüsse waren zu jener Zeit noch nicht möglich, sondern jedes (Glasplatten-) Foto bedurfte einer sorgfältigen Vorbereitung und Inszenierung. Der Ort war folglich nie zufällig gewählt (KIRSCH-STRACKE 2016: 25ff.).

Nach dem Zweiten Weltkrieg entfällt die Nutzung als Schwimmteich, es kursierten Gerüchte, dass dort Kriegsmunition abgeladen worden sei (JESCHONNEK, A. 2020: mdl. Mitt.), was jedoch im Zuge der bisherigen Forschungen zur Geschichte nicht untersucht oder erwähnt wurde (DORMANN 2021: mdl. Mitt.). 

 

 

Konfirmationsfoto des Everloher Bürgers Erich Spindler (Sammlung JESCHONNEK, A. 1920)

 

Die Freiwillige Feuerwehr in Everloh nutzte die Dunke in den 1960er und 1970er Jahren zu Übungszwecken. Aus Erzählungen geht außerdem hervor, dass die Dunke zu späterer Zeit von Kriegsgerät befreit und im Zuge dessen auch entschlammt wurde (JESCHONNEK, A. 2020: mdl. Mitt.). Ein Versuch, sie wieder mit Wasser zu füllen, erbrachte nicht das gewünschte Resultat und so wurde das Gewässer seitdem wieder sich selbst und der Sukzession überlassen (ebd.).

Auch wirkt sich die Veränderung der jahreszeitlichen Verteilung der Niederschläge auf die Dunke aus: ein Rückgang der Niederschlagsmenge in Verbindung mit zunehmend trockenen Sommern und einer beschleunigten Entwässerung der Agrarflächen rund um Everloh bewirken auch, dass der Wasserspiegel der Dunke sinkt. Eine fortschreitende Verlandung ohne entsprechende Maßnahmen erscheint somit unausweichlich.

Allein diese Umstände würden heute die traditionelle Flachsverarbeitung erschweren, denn der geerntete Flachs muss zwischen Ende Juli und Anfang August zum Rotten ins Wasser, um die Weiterverarbeitung gewährleisten zu können. „Das wäre heute ein Ding der Unmöglichkeit“ (DORMANN 2021: mdl. Mitt.).

Die Bedeutung der Dunke für Everloh heute

Heute wird die Dunke zwar als Naturdenkmal gelistet (WIKIPEDIA 2021c: www), in der Wikipedia-Liste der Naturdenkmäler der Stadt Gehrden wird sie allerdings nur als Biotop aufgeführt. Der Erhaltungszustand wird 2008/2009 von Dormann und Wiegand als „unterschiedlich“ (DORMANN & WIEGAND 2009: Nr. 03-241-006-0010), eingestuft. Bei Begehungen des Standortes fällt jedoch ins Auge, dass Pflegemaßnahmen augenscheinlich nicht stattfinden, was am Bewuchs der verlandeten Fläche erkennbar ist.

Der Zugang zur Dunke wird trotz der Ortsnähe durch die vielbefahrene B65 erschwert, das Areal über die Felder zu erreichen, ist aufgrund des Bewuchses und nicht vorhandener Pfade ebenfalls schwierig. Dies könnte auch ein Grund sein, warum die Kinder in Everloh die Dunke kaum besuchen und teilweise nicht einmal von ihrer Existenz wissen (BENDA, M. 2021: mdl. Mitt.). Zudem verschwindet das Wissen um den Flachsanbau und dessen Verarbeitung, allenfalls über Märchen ist die Kenntnis über Arbeitsvorgänge wie das Spinnen noch präsent (DORMANN 2021: mdl. Mitt.).

Ausblick

Obwohl heute zugewachsen und teilweise trocken, hat die Dunke als ehemalige Rottekuhle Seltenheitswert und ist ein besonderes historisches Element der Kulturlandschaft im Calenberger Land. In der Regel wurden Rottekuhlen nach ihrer Nutzungsaufgabe verfüllt, oft als Müllablagestätten genutzt und später in die landwirtschaftliche Nutzung einbezogen. Dies ist im Falle der Everloher Dunke nicht beziehungsweise nur teilweise geschehen. Der hohe Zeugniswert und die ortsnahe Lage machen sie zu einem idealen Ort für Öffentlichkeitsarbeit zur (Kultur-) Landschaftsgeschichte (DORMANN & WIEGAND 2009: Nr. 03-241-006-0010) und zum idealen Ort für Denkmalpädagogik. Passant: innen und Dorfbewohner: innen könnten auf die Besonderheit der Dunke aufmerksam gemacht werden, zum Beispiel in Form einer Infotafel oder ähnliches (DORMANN 2021: mdl. Mitt.). 

 

(kompletter Text entnommen aus: Uni-Projektbericht „Landschaft lesen lernen in Everloh, Bördedorf zwischen Deister und Leine“, S. 51 - 54, Orientierungsprojekt im Rahmen des 1.Semesters Landschaftsarchitektur und Umweltplanung B.Sc., Wintersemester 2020/21, Autoren*Innen: Lili Arnold, Paula Kamp, Hannes Luttmann, Janina Mattheis, Kira Riegger, Tatjana Sawala, Evelyn Schatke, Elias Schütze, Kim Steffes-lai, Lucia Stiebler, Insa Stroot)

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